23/10/2010 14:09:10
... und zweitens als man denkt!
Am Samstag (2.10.) sitzen mein Mann und ich gemütlich mit zwei Freundinnen zusammen und essen leckeren Kuchen und genießen das Wochenende. Gegen halb fünf merke ich einen flimmernden schwarzen Strich in meinem Blickfeld, wie die Aura bei einer Migräne. Erst mal denke ich mir noch nicht viel dabei, schließlich habe ich tatsächlich ab und zu mal Migräne. Kurz danach gehen die beiden Freundinnen und ich bekomme langsam Kopfschmerzen. Irgendwie fällt mir ein, dass es solche Symptome auch bei der Schwangerschaft geben kann, ich hole also mein Gynäkologiebuch und lese nach: Oh je, das kann ein Anzeichen für Schwangerschaftsvergiftung sein! Ich hab zwar nie hohen Blutdruck oder Ödeme (gut, in den letzten Tagen etwas mehr) gehabt, aber ich rufe zur Sicherheit mal im Kreißsaal an. Ja, wir sollen vorbei kommen und das mal untersuchen lassen. Also buche ich beim CarSharing ein Auto und als mein Mann vom Fahrrad aufpumpen wieder hoch in die Wohnung kommt, erschrecke ich ihn erstmal mit der Aussage "Schatz, wir fahren jetzt in die Klinik." Abends kommen wir dann in der Klinik an, ein netter Arzt und eine Hebamme untersuchen mich gründlich, kein auffälliger Blutdruck, Urin normal, CTG unauffällig, Ultraschall vom Kleinen gut, auch die Plazenta und die Versorgung durch die Nabelschnur sind gut. Also doch vermutlich nur eine Migräne, der Arzt meint "Nun, ich nehm mal noch Blut für ein Gestoselabor ab, dann sind wir ganz sicher. Sie können dann in einer Stunde wiederkommen, bis dahin sind die Ergebnisse da." Also gehen wir noch zur Arbeitsstelle von meinem Mann, um online das CarSharing-Auto zu verlängern, irgendwie dauert doch alles länger als gedacht und auf dem Weg entschuldige ich mich noch zehn Mal bei meinem Mann, dass ich ja auch nicht wirklich geglaubt hab, dass was Schlimmes ist, aber ich wollte doch sicher gehen und mein Mann antwortet zehn Mal, dass das doch richtig sei, das abklären zu lassen und ich bräuchte mich ja nicht zu entschuldigen.
Eine knappe Stunde später sind wir wieder im Kreißsaal und dort warten schon der Arzt, eine Hebamme und die Oberärztin (übrigens unsere Nachbarin :) ) auf uns. Die Thrombozyten sind leicht erniedrigt, die Leberwerte noch normal, aber das Haptoglobin ist nicht mehr nachweisbar, also ist doch eine Hämolyse (Auflösung der roten Blutkörperchen) im Gange! Tja, da das alles auf ein beginnendes HELLP-Syndrom hindeutet und sich das ganz schnell auch innerhalb von Stunden richtig übel verschlechtern kann und ein Notfall wird, außerdem bin ich ja schon bei 36+4, also ist der Kleine auch schon quasi fertig ausgebrütet, dürfen wir aussuchen: Entweder wir starten die Einleitung noch am gleichen Abend oder wir fangen am Tag drauf damit an. Natürlich könnten wir auch direkt einen Kaiserschnitt machen, aber wir wollen gern eine Spontangeburt versuchen. Mein Mann und ich schauen uns nur an und denken wohl das Gleiche "Das ist doch jetzt der falsche Film!"
Während ich zum ersten Mal eingeleitet werde, fährt mein Mann schnell heim, um den Klinikkoffer zu holen. Als er wiederkommt, habe ich schon Wehen, die ich veratmen muss, die aber nach zwei bis drei Stunden auch wieder nachlassen. Für die Nacht bekomme ich dann ein Schmerzmittel, mein Mann fährt nochmal heim und ist pünktlich am Sonntag zur nächsten Einleitung wieder da. Ich schlafe in der Nacht dreieinhalb Stunden, aber weniger wegen der Schmerzen, sondern mehr weil ich so wahnsinnig aufgeregt bin. Bald habe ich meinen Sohn im Arm!
Am Sonntag werde ich drei Mal eingeleitet: Morgens, nachmittags und spät abends. Die Wehen werden jedes Mal heftiger, ebben aber immer wieder nach ein paar Stunden ab und sind dann nicht mehr wirklich stark. Mein Mann und ich drehen mittags eine kleine Runde im Klinikpark, wunderschönes Herbstwetter. Leider hat sich auch abends nicht wirklich was am Muttermund getan, also wird es wohl doch nichts mit dem Geburtstag am Feiertag. Nachts schläft mein Mann bei mir im Zimmer, wir beide bekommen jeweils ca. drei Stunden Schlaf, ich aber nur mit einem heftigen Schmerzmittel.
Am Montagmorgen kommt noch einmal unsere Oberärztin vorbei, sagt nach der Untersuchung "So, ich verspreche dir, du bekommst dein Kind noch heute.", leitet mich (diesmal mit einer höheren Dosis) ein und ich bekomme tatsächlich richtig krasse Wehen. Hatte ich vorher noch überlegt, ob ich nicht vielleicht doch mal ein Bad nehmen sollte, daran war nicht mehr zu denken! Ich wollte nur noch auf die Matratze hauen, das dumme CTG hat weh getan (obwohl es eigentlich sehr locker dran war) und mein einziger Gedanke war "Wenn Sterben auch so weh tut, dann kann ich nie sterben, das schaffe ich dann nicht." Weiß auch nicht, wie man sowas denken kann Wenigstens tut sich langsam was am Muttermund und nach einer weiteren Untersuchung darf ich auch eine PDA bekommen. Tolle Sache, sowas! Die Wehen sind erträglich, ich spüre vor allem noch ein heftiges Ziehen in der Leiste, kann mich aber wieder ein klein wenig erholen zwischen den Wehen. Und der Muttermund geht auch immer weiter auf, wir sind optimistisch und glauben allmählich der Aussage der Oberärztin. Abends gegen 19 Uhr ist der Muttermund vollständig, nur steht der Kopf des Würmchens noch gerade statt quer. Also darf ich ab und zu von der einen auf die andere Seite wechseln, langsam wird das CTG auch eingeengt, die Ärztin kommt und erklärt, dass sie Blut aus dem kindlichen Kopf entnehmen müssen, um zu sehen, ob er noch gut versorgt ist. Notfalls müsse man einen Kaiserschnitt machen. Der pH-Wert ist noch gut, also dürfen wir weiter versuchen, den Kleinen zum Tiefertreten zu überreden. Nach zwei Tagen Einleitung, ungezählten mit Erbrochenem gefüllten Nierenschalen und im Endeffekt zwei Stunden vollständig eröffnetem Muttermund und "hohem Geradstand" müssen wir leider alle Versuche abbrechen, die Wehen hemmen und wir fahren doch in den OP. Mein Mann ist ganz traurig, es tut ihm so Leid, dass ich das alles durchmachen musste und dann doch den Kaiserschnitt bekomme, aber ich kann ihn beruhigen: Es war den Versuch Wert und ich freue mich einfach auf mein Kind, das ich nun wirklich bald im Arm habe!
Um 23:38 Uhr ist es dann so weit, ich höre ein leises Krähen und weiß: Das ist mein Kind, er schreit noch ganz leise. Kurz danach legen sie ihn mir ans Gesicht und es ist wirklich das süßeste Babygesicht, das ich je gesehen habe. Während mein Mann und mein Sohn Ruben wieder zurück in den Kreißsaal dürfen, werde ich noch zugenäht und dann in das Überwachungszimmer gebracht, wo kurz danach mein Mann mit meinem Sohn reinkommt. Obwohl ich nach der OP am ganzen Körper nur noch gezittert habe, fühle ich mich unglaublich glücklich und ruhig, als ich die beiden sehe. Wir sind endlich komplett, eine echte kleine Familie!
Und weil es damit noch nicht ganz aufhört, möchte ich euch in ein paar Stichworten noch die darauffolgenden Wochen schildern: Mit der Kaiserschnittnarbe hatte ich richtig Glück, konnte schon am Dienstagmorgen wieder aufstehen und ab Mittwoch Abend bin ich komplett ohne Schmerzmittel ausgekommen. Am Donnerstag musste Ruben für 17 Stunden unter die Blaulichtlampe, weil er zu viel Bilirubin hatte und eine Neugeborenengelbsucht entwickelt hat. Am Freitag durften wir dann heim, das Wochenende lief ganz gut, nur nachts kamen wir nicht zu viel Schlaf. Am Montag waren wir dann zur Kontrolle des Bilirubins noch einmal bei der Kinderärztin - und mussten abends gleich in die Kinderklinik, weil das Bili doch deutlich zu hoch war. Dort ist leider organisatorisch ziemlich viel schief gelaufen, aber im Endeffekt durften wir Donnerstag früh wieder heim. Da hatte ich dann einen Milchstau und ordentlich Fieber, aber auch das hat sich nach einem Tag wieder gebessert. Weil Ruben anfangs durch das Bili noch zu sehr geschwächt war (er ist eben doch ein wenig zu früh gekommen und hatte auch noch nicht genug Fettreserven) und zu wenig getrunken hat, mussten wir dann in der Kinderklinik mit Fläschchen zufüttern und natürlich ist dadurch meine Milchproduktion nicht ausreichend angeregt worden. Zum Glück habe ich eine super Hebamme, die es geschafft hat, mir den Stress mit Stillen, Abpumpen und Zufüttern zu reduzieren und jetzt sind wir, nachdem Ruben ordentlich zugenommen hat, endlich dabei, das Zufüttern langsam auszuschleichen. Vielleicht braucht er schon in ein paar Tagen keine zusätzlichen Fläschchen mehr?!
Insgesamt hatte ich mir die Geburt und auch die Wochen danach gründlich anders vorgestellt und vielleicht wären uns wirklich der Kaiserschnitt und auch der Aufenthalt in der Kinderklinik erspart geblieben, wenn man Ruben nicht so früh hätte holen müssen. Aber (vor allem wenn man mal bei wikipedia "HELLP" und "Hoher Geradstand" durchliest) ist alles was zählt, dass Ruben und ich beide gesund sind und keine bleibenden Schäden haben!